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Der Kitt des Miteinanders
Foto: Marco Stepniak

Der Kitt des Miteinanders

Lesedauer: ca. 3 Min. | Text: _Redaktion _RDN

Neue Leitung, gleiche Lautstärke: Swantje Bärenfänger macht das Leo zum Möglichmacher-Ort für Alltag, Offbeat und offene Ohren.

Das Leo ist kein leiser Ort. Skateboards kratzen über den Vorplatz, drinnen öffnen sich Türen, es riecht nach Kochtopf und Alltag. Stimmen, Gelächter, Bewegung – der Kitt des Miteinanders. Swantje Bärenfänger lehnt kurz am Rahmen, atmet durch und lächelt dieses praktische Lächeln von Menschen, die anpacken. „Leitung ist eine Haltungssache“, sagt sie.

Katapult statt Karriereplan

Manchmal stolpert man nicht, sondern wird katapultiert. So beschreibt sie ihren Weg: „Ich habe selbst erlebt, was schlechte Leitung ist. Da dachte ich: Das muss besser gehen“ Aus Trotz wurde Leidenschaft, aus Haltung eine Berufung. Im Juli hat sie Christian Joswig abgelöst, der viele Jahre lang eine feste Instanz war und nun den Treffpunkt Altstadt weiterführt. Für sie ist das keine Zäsur, sondern ein Staffelstab-Moment: „Es ist keine neue Ära, sondern eher eine Unterstützung. Zum ersten Mal gibt es zwei Leitungen, und das ist eine Bereicherung.“

Schwan ohne Federn

Ihr Name klingt nach Sagenstoff: Schwan, Federkleid, Luft unter den Füßen. In der germanischen Mythologie konnten sich Schwanenjungfrauen in Menschen verwandeln, wenn sie die Federn ablegten. Bei Swantje ist es umgekehrt: Die Poetik steckt im Namen, die Realität in der Einstellung. Lange Dreadlocks und Piercings. Kein Federkleid, sondern lässiger Style. Analoges Leben, Schrauben, Tiere, Natur – das ist die Welt, die sie geprägt hat. „Ich habe noch im Wald gespielt und bin mit Traktor gefahren. Diese Bullerbü-Zeit meiner Kindheit will ich nicht missen.“ Ihr schönstes Accessoire ist Aufmerksamkeit: dieses genaue Zuhören, das andere größer macht. Sie urteilt nicht, sie ordnet – Stein für Stein, bis ein Mosaik entsteht, in dem Menschen plötzlich Sinn ergeben.

Was Jugendliche brauchen, weiß man im Gespräch mit ihnen, nicht in Tabellen. Manchmal ist es banal: Durst. Eine Toilette. Ein Pflaster nach einem Abenteuer. „Wir hatten mal einen kleinen Unfall auf dem Parkplatz. Ein Kind hat sich in den Finger geschnitten. Der erste Ort, an den es dachte, war das Leo. Das zeigt, dass wir hier Verlässlichkeit geben – genau das brauchen Kinder heute mehr denn je. Manchmal ist es schwieriger: Krach mit Familie oder Freunden, alles wird zu laut im Kopf. „Hier findet dich jemand“, sagt sie. Das Haus ist offen: werktags meist von 14– 20 Uhr, erreichbar sind sie schon ab neun. Seit Juli ist der Besucherstamm gewachsen – von 10–15 auf 20–30 täglich. Sichtbarkeit hilft: Insta, Aushänge, Mundpropaganda – und das Gefühl, dass hier etwas zurückschwingt, wenn man anklopft.

Leo ist Möglichmacher

Ideen dürfen wachsen. Es gibt weiterhin Sport- und Kreativgruppen, ein Aufnahmestudio, das wiederentdeckt werden will: Beats bauen, Stimmen aufnehmen, Geschichten vertonen. „Kinder sind Entdecker. Diese Neugier bleibt“, sagt sie. Auch wenn der Einstieg oft durch den Bildschirm führt: Ein Funken echte Tätigkeit – und die Köpfe heben sich. Digital? Ja. Aber nicht als Ersatz. Ganz ohne Handy geht es nicht. Das Leo nutzt selbst Instagram und TikTok, um sichtbar zu sein. Aber Aufklärung gehört dazu. Was ist Datenschutz? Wo hört Spaß auf und wo beginnt Druck? „Viele kennen ‚no filter‘ gar nicht mehr. Wir zeigen ihnen, dass sie wertvoll sind – genauso, wie sie sind.“ Es geht um Medienkompetenz und um Gegenwelten zum Bildschirm: Holzwerkstatt, Fahrräder zerlegen, Graffiti, Singen. „Digital umarmen ist verdammt schwierig“, sagt sie und lacht. Zwischenmenschliche Interaktion, die kleinen Gesten, die Blicke – das lässt sich durch keinen Bildschirm ersetzen.

Alltag mit Offbeat

Geboren in Köln, aufgewachsen am Niederrhein, der Liebe wegen in Dorsten gelandet – und mit gutem Grund geblieben. Swantje mag die Direktheit, die Industriekultur, die Hilfsbereitschaft, die hier noch nicht verlernt wurde. „Man sagt sich auf den Kopf zu, was man denkt – und reicht im nächsten Moment die Hand. Großartig.“ Und wenn sie träumen dürfte, ohne Budget-grenzen? Dann würde sie Dorsten in ein riesiges Hippie-Festival verwandeln. Mit Musik an allen Ecken, vegetarischem Essen, ohne Unterschiede zwischen den Menschen. „Wir würden alle für den Frieden feiern.“ Bis dahin ist jedes kleine Gelingen für sie eine schöne Sache, ein gebautes Rad, eine Stimme, die man zum ersten Mal auf Kopfhörern hört. Das Leo ist kein Ort der Effekte, sondern der Wirkung. Ein Haus, das Türen offenlässt – und Menschen in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit aushalten will.

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