Zum Inhalt springen
Unsichtbar - mitten unter uns
Jeden ersten Mittwoch im Monat, bringen Jorde und Simon vom Haus Grütering warme Mahlzeiten vorbei. Das sättigt, vor allem aber zeigt es, dass man hilft und zusammenhält. Foto: Marco Stepniak

Unsichtbar - mitten unter uns

Lesedauer: ca. 2 Min. | Text: Karoline Jankowski

In einer Stadt wie Dorsten, der es gut geht, rechnen Viele nicht mit existenzieller Wohnungslosigkeit. Die Wohnungslosenhilfe schon. Seit 30 Jahren zeigt sie, wie nah das Thema wirklich ist – und wie schnell man selbst stolpern kann.

Sie sind da. Jeden Tag. An der Bushaltestelle, am Lippeufer, in der Fußgängerzone. Mit Tüten, mit Blicken, die oft schnell wieder zur Seite wandern. Menschen ohne festen Wohnsitz. „Für mich ist dieser Ort ein Zufluchtsort. Hier fühl ich mich sicher und wohl“, sagt ein Klient. Ein weiterer: „Ich fühle mich hier nicht als Belastung, sondern wie ein alter Freund.“ Und plötzlich ist klar: In Dorsten wächst etwas. Und: Stadtentwicklung bedeutet mehr als Bebauungspläne. Es geht um Menschen. Um Würde. Um einen Ort, an dem man atmen kann. Vanessa Greef, die Leiterin der Einrichtung, bring es auf den Punkt: „Wir lachen zusammen, wir weinen zusammen, wir machen makabere Scherze. Anders geht es nicht und schön reden hilft nicht.“ Zwischenmenschlichkeit und Pragmatismus sind das Fell, das Klienten und Mitarbeitende gleichermaßen brauchen.

Obdachlosigkeit ist jung

Das Klischee vom älteren Mann mit Flasche auf der Parkbank? Überholt. „Obdachlosigkeit ist jung“, sagt Greef. Oft sind es Jugendliche, die von Couch zu Couch hoppen, weil es kein „Zuhause“ mehr gibt. Oder Familien, die nach Jobverlust und Mietrückständen plötzlich dastehen – ohne Wohnung und Perspektive. Außenstehende machen es sich mit Argumenten, wie „die sind selbst schuld“ oder „in Deutschland muss man nicht obdachlos sein“ einfach. „Und es ist ignorant. Eine solche Situation passiert nicht von heute auf morgen. Scham und Verzweiflung ziehen es so weit in die Länge, bis es zu spät ist. Und ‚Schuld‘ hat oft das grobmaschige System, das nicht alle Menschen auffängt“, sagt Greef. „Der Wohnungsmarkt ist so angespannt, dass Vermieter wählen können – und da fällt die Wahl selten auf eine Familie mit Schulden.“

27.05.2025
Dorsten 
Wohnungslosenhilfe 
Vanessa Greef und David Wäscher
links Jorde Mileska Jovanoska ,  rechts Simon Jovanoski vom Haus Grütering 
foto: copyright  marco stepniak  -  
mobil  +49 171 2771906 ,  marco@stepniak-bild.de
Jorde Mileska Jovanoski, David Wäscher,
Vanessa Greef und Simon Jovanoski kümmern sich um Wärme (v.l.n.r.) – im Magen, der Einrichtung und das Miteinander. Foto: Marco Stepniak

Haus mit Herz

Aber: Wer Hilfe sucht, bekommt sie. „Jeder, der die Eier hat, bei uns zu klingeln, muss Hilfe bekommen“, sagt Greef. Ob Wohnraumsicherung, Sozialberatung oder Housing First – ein Projekt, bei dem Betroffene sofort eine Wohnung bekommen, ohne Vorbedingungen – hier wird angepackt. Und manchmal reicht ein Lichtzeichen: „Wenn ich was brauche, knipse ich die Lampe im Fenster an“, erzählt sie lachend. „Gegenüber ist das Jugendamt. Kurz darauf klingelt das Telefon.“ Immer mehr Menschen helfen – mit Spenden, Lebensmitteln, Schlafsäcken – oder warmem Essen. Nur eine Dorstener Gastronomie hat auf einen weihnachtlichen Spendenaufruf der Einrichtung reagiert – das Haus Grütering.Für Betreiberin Jorde Mileska Jovanoska war das selbstverständlich.

Sie denkt an Diogenes, der mit einer Lampe am helllichten Tag durch die Stadt lief, auf der Suche nach Ehrlichkeit. „So fühlt es sich an, wenn man Hilfe sucht, wo sie eigentlich selbstverständlich sein sollte.“ Ihr Mann Simon Jovanoski sagt: „Es war sofort klar, dass wir das machen. Wieso auch nicht? Die Antwort darauf würd’ ich gern mal hören.“ Seitdem bringen sie regelmäßig warme Mahlzeiten vorbei. „Es braucht ein warmes Gefühl im Bauch“, sagen beide. Für den Magen und für’s Herz.

Einladung zum Hinschauen

Am 11. September, dem Internationalen Tag der Wohnungslosen, öffnet die Wohnungslosenhilfe unter dem Motto „Unsichtbares sichtbar machen“ ihre Türen. Wer vorbeikommt, bekommt ehrliche Einblicke, Gespräche, Begegnungen – und vielleicht einen Perspektivwechsel.

 

Info
Haus Gütering

Glück-Auf-Straße 313
46284 Dorsten

wohnungslosenhilfe-dorsten.de
haus-gruetering.de

Artikel teilen:

Mehr aus Ihrem Vest: