Dr. Norbert Reichling: Ein Leben für Demokratie, Toleranz und Erinnerungskultur
Als „politischen Bildner, Bürgerrechtler und Erinnerungsarbeiter“ bezeichnen seine früheren Arbeitskollegen beim Bildungswerk der Humanistischen Union Dr. Norbert Reichling. Auch im Vorstand und als ehrenamtlicher Leiter des Jüdischen Museums Westfalen leistete er Außergewöhnliches zur Stärkung der Demokratie und gesellschaftlichen Solidarität und gegen Antisemitismus und Hass.
Dr. Norbert Reichling wurde am 1. Oktober 1952 geboren und wuchs in Wuppertal auf. Er studierte an der Universität Münster Politikwissenschaft, Soziologie und Publizistik und schloss sein Studium mit dem Magister ab. An der Gesamthochschule Paderborn promovierte er mit einer Dissertation zur „Akademischen Arbeiterbildung in der Weimarer Republik“. Von 1979 bis 2018 arbeitete er als pädagogischer Mitarbeiter im Leitungsteam des Bildungswerks der Humanistischen Union NRW in Essen.
Von der Gründung 1987 an war Norbert Reichling Mitglied im Verein für jüdische Geschichte und Religion e.V., welcher 1987 ins Leben gerufen wurde. Der Verein gründete das Jüdische Museum Westfalen, das 1992 unter der Leitung von Schwester Johanna Eichmann eröffnet wurde. Fünf Jahre später wurde Norbert Reichling in den Vorstand des Vereins gewählt, zunächst als Schriftführer.
Von 2006 bis 2020 leitete er das Museum ehrenamtlich, die meiste Zeit neben seiner hauptamtlichen Tätigkeit bei der Humanistischen Union. Gleichzeitig stand er in Personalunion als Erster Vorsitzender dem Vorstand des Trägervereins vor. Trotz dieser Mehrfachbelastung verpasste er keine Ausstellungseröffnung und war der zuverlässigste Besucher der Veranstaltungen im Museumsprogramm.
Norbert Reichling verstand sich immer als Teil eines Teams und so erstaunt es nicht, dass er die Ehrennadel, die ihm die Stadt Dorsten 2017 verlieh, gleich dem gesamten Museumsteam widmete. Sowohl ehrenamtlichen wie hauptamtlichen Mitarbeiter*innen begegnete er immer auf Augenhöhe, offen für ihre Ideen und Vorschläge, mit Leichtigkeit, Humor und immer unterstützend. Er war ein Mann der leisen Töne, der die zahlreichen Gespräche mit Zeitzeug*innen mit viel Behutsamkeit führte.
Er legte allerdings Beharrlichkeit an den Tag, wenn es darum ging, die Existenz des Museums zu sichern und seine wichtige gesellschaftliche Rolle bekannt zu machen. Es ist vor allem seinen ausdauernden Verhandlungen und seinem diplomatischen Geschick zu verdanken, dass sich das Land NRW und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) entschieden haben, das Museum regelmäßig finanziell zu unterstützen. Norbert Reichling verhandelte professionell mit zahlreichen Politiker*innen, Verbänden, Vereinen und Sponsor*innen in der Dorstener Stadtgesellschaft zur Entwicklung und Professionalisierung der Museumsarbeit.
Zusätzlich zu seiner strategischen Arbeit für das Museum, brachte er sein umfangreiches Wissen und seine Fachkompetenz in die inhaltliche Museumsarbeit ein. Dr. Reichling verfasste zahlreiche Publikationen zur Geschichte, politischen Bildungsarbeit und Erinnerungskultur. Für das Museum initiierte er Projekte, die sowohl beim Publikum wie in Fachkreisen Anerkennung fanden und zur Reputation des Museums beigetragen haben – unter anderem die Ausstellungen „Heimatkunde. Westfälische Juden und ihre Nachbarn“, „Angekommen?! Lebenswege jüdischer Einwanderer“ und das Bildungsprogramm „Antisemi… was? Reden wir darüber“.
Ohne Norbert Reichlings fachliche Kompetenz, seine Führungsstärke und sein unermüdlichs Engagement hätte das Museum nicht den Umfang erreicht und das Renommee gewonnen, das es heute genießt. Das Museum ist ein lebendiger Teil der Stadtgesellschaft, in der Region bekannt und geachtet, gleichzeitig national und international vernetzt. Dank der Unterstützung durch den LWL, die wesentlich seinen Verhandlungen zu verdanken ist, konnte das Museum 2020 eine hauptamtliche Museumsleiterin anstellen. Als Erster Vorsitzender des Trägervereins begleitete und unterstützte er das Museumsteam und die neue Leiterin mit Kräften. Er wirkte auch weiterhin an Projekten mit wie beispielsweise dem digitalen Medienguide, betrieb historische Forschung und schrieb Artikel für die Museumszeitschrift „Schalom“ und den Museumsblog.
Eigentlich wollte Norbert Reichling im nächsten Jahr in den wohlverdienten Ruhestand treten, er hatte seinen Rückzug aus dem Vorstand von langer Hand geplant. Doch am 15. September starb Dr. Norbert Reichling völlig unerwartet zuhause. Er hinterlässt seine Ehefrau, zwei Kinder und ein Enkelkind.
Sein Tod hinterlässt eine große Lücke, menschlich, beruflich und im ehrenamtlichen Engagement für Toleranz und Demokratie. Norbert Reichling hat mit seinem außergewöhnlichen Einsatz für das Museum der Stadt Dorsten und dem Land NRW ein kostbares demokratiepolitisches Vermächtnis hinterlassen.
Elisabeth Cosanne-Schulte-Huxel, Mitglied und langjährige Zweite Vorsitzende im Vorstand des Museumsträgervereins: „Er hat uns alle reich beschenkt mit seinem wachen, unkonventionellen Geist. Seine mitreißende Energie und Zuversicht, sein Fachwissen, sein ehrliches Interesse an den Menschen, machten ihn aus. Sein Verständnis von humanistischer Bildung und gesellschaftlicher Verantwortung wird unser Museum auch in Zukunft prägen.“
Tobias Stockhoff, Bürgermeister der Stadt Dorsten: „Dr. Norbert Reichling konnte komplexe Zusammenhänge stringent denken, zugleich verständlich und in eleganter Sprache formulieren. Es machte Spaß, ihm zuzuhören. Bei aller Zielstrebigkeit in der Sache und Präsenz als Persönlichkeit war er uneitel, gradlinig und zugewandt. Ein Teamspieler, der auch Studenten und Praktikanten immer auf Augenhöhe begegnete. Einer, um den herum immer ein gutes „Klima“ herrschte, in dem konstruktiv diskutiert und scharf analysiert wurde, um Lösungen zu finden.“
Bodo Klimpel, Landrat des Kreises Recklinghausen: „Dr. Norbert Reichling hat sich in herausragender Weise auch um die Erinnerungskultur verdient gemacht. Erinnerung hat er dabei ganzheitlich gedacht, in allen historischen und politischen Dimensionen, die bis ins Heute wirken. Das Museum ist kein Hort für Vergangenes, sondern es sei auch zuständig für die Gegenwart, hat er einmal treffend bemerkt.“
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